"Sind Deutsche und Niederländer sich egal geworden, Herr Heinzel?"(Neue Rhein Zeitung)

Der Niederrhein ist Grenzgebiet. Die Nachbarschaft zu den Niederlanden prägte und prägt die Region. Doch welche Beziehung haben die Niederrheiner zu ihrem Nachbarland? Wie wichtig ist ihnen die Nähe zu den Niederlanden? Das wollten wir in unserem ersten Bürgerbarometer für den Niederrhein wissen. Die Antworten haben uns überrascht: Zwar gab knapp die Hälfte der Befragten an, die Nähe zum Nachbarland sei ihnen wichtig, ein gutes Drittel aber wählte auf einer Skala von eins bis fünf die drei - "indifferent". Sind die Niederlande so vielen Niederrheinern tatsächlich egal geworden? Und wie sieht es auf der anderen Seite der Grenze aus?

 

Den Honorarkonsul der Niederlande in Kleve, Freddy B. Heinzel, haben die Ergebnisse unseres Bürgerbarometers nicht überrascht. Er hatte sogar eine Erklärung:

 

NRZ: Herr Heinzel, seit 2010 sind Sie Honorarkonsul der Niederlande in Kleve. Sie haben eine niederländische Mutter und einen deutschen Vater, kennen also beide Seiten der Grenze gut. Haben Sie das Gefühl, dass sich Niederländer und Deutsche tatsächlich egal geworden sind?

 

Heinzel: Ich glaube nicht, dass wir uns gleichgültig geworden sind. Aber ich denke, dass die Beziehung zwischen den Deutschen und den Niederländern oft eine sehr zweckmäßige und weniger eine herzliche ist. Es gibt viele Menschen im Grenzgebiet, die Familie oder Freunde auf der anderen Seite haben, die im Nachbarland arbeiten oder die auf der anderen Seite der Grenze bestimmte Dinge einkaufen, die sie im eigenen Land nicht bekommen. Politikern und Menschen, deren Unternehmen grenzüberschreitend arbeiten ist das Nachbarland sowieso wichtig. Aber es gibt auch eine große Gruppe von Menschen, die trotz der unmittelbaren Nähe einfach keine Anknüpfungspunkte jenseits der Grenze hat. Das sollte man nicht unterschätzen. Zudem muss man auch an die Sprachbarriere denken, die ja durchaus besteht. Nimmt man das alles zusammen, dann überraschen mich die Ergebnisse Ihrer Umfrage  nicht.

 

NRZ: Wie wichtig ist denn der Niederrhein für die Niederländer?

 

Heinzel: Für die Niederlande als Staat, Gesellschaft und Wirtschaft ist Deutschland der wichtigste Handelspartner. Schon allein aus wirtschaftlichen Gründen haben die Niederlande also ein großes Interesse an einer guten Beziehung zu Deutschland. Und natürlich verbindet uns der europäische Gedanke, beide Länder sind ja Kernländer der Europäischen Gemeinschaft.

 

Eine neue, erfreuliche Entwicklung ist auch, dass die Niederlande das Bundesland Nordrhein-Westfalen immer stärker als eigenständigen Partner wahrnehmen und nicht mehr alle Kontakte ausschließlich über Berlin laufen.

 

NRZ: Hat diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Zusammenarbeit beider Länder im Grenzgebiet?

 

Heinzel: Zunächst ist die Vorstellung, dass Grenzen heutzutage immer weniger Bedeutung haben ein großes Missverständnis. An einer Landesgrenze treffen zwei inkompatible Systeme aufeinander und das beeinflusst die Planungen in allen Bereichen. Wir glauben aber bei unserer grenzüberschreitenden Arbeit schon seit Jahren nicht mehr, dass wir die beiden Systeme der Niederlande und Deutschlands einander angleichen könnten. Im Gegenteil, wir sind uns unserer Unterschiede bewusst und bemühen uns, gerade aus ihnen einen Vorteil zu schaffen.  

 

NRZ: Welcher könnte das sein?

 

Heinzel: Das Besondere an einer Grenzregion ist ja, dass man sich für jedes Problem sofort beim Nachbarn eine alternative Lösung zum eigenen Ansatz anschauen kann. Und wenn dann noch beide Seiten zusammenarbeiten, man die guten Ideen grenzüberschreitend zusammen führt und Fehler gemeinsam beseitigt, dann kann man für alle Beteiligten einen Mehrwert schaffen.  

 

NRZ: Wo funktioniert denn diese grenzüberschreitende Planung ihrer Meinung nach schon gut? Wo sehen Sie noch Entwicklungspotenzial?

 

Heinzel: Der grenzübergreifende Hochwasserschutz ist meiner Meinung nach ein positives Beispiel. Nach dem großen Hochwasser von 1994 ist Gott sei Dank allen klar geworden, dass eine solche Naturgewalt nicht an der Grenze Halt macht. Deutschland und die Niederlande haben daraufhin gut zusammengearbeitet. Im Bereich Katastrophenschutz gibt es ebenfalls große Bestrebungen, die Kooperation beider Länder zu verbessern. Ein langfristiges Ziel sollte definitiv sein, die Planungen zum Beispiel im Bereich des Verkehrs grenzüberschreitend zu organisieren. Kennen Sie die Autobahn von Emmerich nach Arnheim? Kurz hinter der Grenze fädelt sich eine holländische Autobahn ein. Allerdings nur in Richtung Holland. Dass von dort aus vielleicht auch jemand nach Deutschland fahren möchte, das haben die Planer gar nicht berücksichtigt. Als würde die Welt an der Grenze enden...  

 

NRZ: Was können denn Niederländer und Deutsche im Grenzgebiet tun, um die Beziehungen zum jeweiligen Nachbarland zu vertiefen?

 

Heinzel: Eine erfreuliche Entwicklung auf deutscher Seite ist, dass immer mehr junge Menschen niederländisch sprechen, weil viele von ihnen dort studieren. Bei den Niederländern ist die Entwicklung leider umgekehrt. Seit Deutsch kein Pflichtfach in der Schule mehr ist, sprechen immer weniger junge Niederländer deutsch. Aber es gibt inzwischen große Bestrebungen, Deutsch als Pflichtfach wieder einzuführen. Die wachsende Sprachbarriere ist durchaus ein Problem für die Beziehungen. Besonders förderlich, um Vorurteile abzubauen, sind aber nach wie vor persönliche Kontakte auf die andere Seite der Grenze.

 

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